Wenn es um Pornografie und Jugendliche geht, werden häufig hitzige Debatten geführt. Schnell sind Begriffe wie „Pornosucht“ oder „Gewaltpornografie“ im Raum, und nicht selten wird von einer „Generation Porno“ gesprochen. Diese Diskussionen sind oft von Mythen geprägt, die mehr Aufregung als Aufklärung bieten. Doch was brauchen Jugendliche wirklich, um kompetent mit Pornografie umzugehen? Und wie können Fachkräfte das Thema offen, aber auch kritisch und konstruktiv ansprechen?
Gesellschaftliche Realität und Definition von Pornografie
Zunächst ist es wichtig, Pornografie als Teil der modernen Sexualkultur anzuerkennen. Die Sexualtherapeut Christoph Joseph Ahlers betont, dass Pornografie kein realistisches Abbild von Sexualität liefern will, sondern in erster Linie der Unterhaltung und Stimulation dient. Er nennt sie daher „Sexual Entertainment“ (Ahlers 2016: 290). Diese Fiktion des Sexuellen, die von Pornografie geschaffen wird, ist entscheidend, um die gesellschaftlichen Debatten zu verstehen, die oft mit Werten und Moralvorstellungen über Sexualität verflochten sind.
Eine hilfreiche Definition liefert die Sexualwissenschaftlerin Nicola Döring, die Pornografie auf einer inhaltlich-funktionalen Ebene beschreibt: Pornografie zeige explizit nackte Körper und sexuelle Aktivitäten und werde primär zur sexuellen Stimulation produziert und rezipiert (Döring 2011: 232). Diese Definition ist bewertungsfrei und berücksichtigt die Vielfalt der Darstellungsformen: feministische und queere Pornografie, die oft alternative Darstellungen bieten, sowie die so genannte Mainstreampornografie, die hauptsächlich auf kostenlosen Plattformen zu finden ist. Diese differenzierte Betrachtung ist wichtig, wenn wir das Phänomen aus pädagogischer Sicht betrachten.
Wie viel Pornografie nutzen Jugendliche?
Die Verbreitung von Smartphones ermöglicht nahezu uneingeschränkten Zugang zu Internetinhalten, und dies schließt Pornografie ein. Die Nutzungsangaben variieren je nach Studie. Eine Untersuchung der Landesanstalt für Medien NRW aus dem Jahr 2024 zeigt, dass 42% der 11- bis 17-jährigen Jugendlichen bereits einen Porno gesehen haben. Bei den 14- bis 17-jährigen Jungen sind es 59%, bei den Mädchen 42% (Landesanstalt Medien NRW 2024: 20). Es muss jedoch betont werden, dass regelmäßiger Konsum eher die Ausnahme ist: Nur 6% der Jugendlichen geben an, mehrmals pro Woche Pornos zu schauen, und 10% schauen einmal wöchentlich (ebd.).
Die PARTNER 5 Studie aus dem Jahr 2021, die 16- bis 18-Jährige befragt hat, bestätigt, dass die Mehrheit der männlichen Jugendlichen regelmäßig pornografische Inhalte konsumiert: 89% der männlichen Jugendlichen und 49% der weiblichen geben an, Pornografie zu nutzen (Bathke et al. 2021: 276). Eine Befragung von 18- bis 25-jährigen Männern zeigt sogar, dass 46% mehrmals wöchentlich und 25% täglich Pornos nutzen (Winter 2022: 119). Diese Zahlen machen deutlich, dass der Zugang zu Pornografie Teil der Jugendkultur ist – auch wenn nicht jeder Jugendliche regelmäßig schaut, bleibt der Kontakt mit diesen Inhalten für viele unvermeidlich.
Ambivalente Gefühle und freiwilliger Kontakt
Wichtig ist, dass der erste Kontakt mit Pornografie nicht immer freiwillig ist und die Reaktionen von Jugendlichen oft ambivalent ausfallen. Gefühle wie Ekel und Erregung können gleichzeitig auftreten, wie Studien zeigen (Vogelsang 2017: 270f.). Es ist entscheidend, diese Ambivalenz ernst zu nehmen. Die Nutzung von Pornografie ist nicht immer rein freiwillig, und Jugendliche erleben nicht selten einen inneren Zwiespalt, wenn sie auf sexuelle Darstellungen stoßen, die sie gleichzeitig abstoßen und faszinieren. Die Konfrontation mit diesen durchaus ambivalenten Inhalten kann belastend sein, vor allem, wenn sie keinen Raum haben, ihre Gefühle zu thematisieren.

Was sind die Auswirkungen von Pornografienutzung?
In den öffentlichen Debatten wird häufig eine einfache Verbindung zwischen Pornografienutzung und negativen Auswirkungen wie sexueller Gewalt oder Sexismus hergestellt. Doch diese monokausalen Zusammenhänge sind empirisch nicht belegbar und oft zu einfach gedacht. So lässt sich etwa der Mythos der „Generation Porno“ nicht durch wissenschaftliche Daten bestätigen (Oeming 2023). Es gibt Studien, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen: Einige weisen darauf hin, dass der Konsum von gewaltvoller Pornografie die Akzeptanz sexueller Aggression erhöhen kann, während andere Studien zeigen, dass der Konsum von Pornografie sogar zu einer Reduktion von sexueller Gewalt führen kann (Döring 2024: 359). Für die meisten Jugendlichen ist klar, dass Pornografie eine Fiktion ist – eine Unterhaltung, die wenig mit ihrer eigenen Sexualität zu tun hat. Die meisten Jugendlichen nehmen keinen direkten negativen Einfluss auf ihre Sexualität wahr, und für queere Jugendliche bietet Pornografie sogar einen Raum, in dem sie sehen können, dass ihre sexuellen Wünsche und Fantasien dazu gehören (Bathke et al. 2021).
Pornografiekompetenz als pädagogisches Ziel
Was können Fachkräfte tun, um Jugendliche in ihrem Umgang mit Pornografie zu unterstützen? Ein zentraler Ansatzpunkt ist die Förderung von „Pornografiekompetenz“, die Nicola Döring als wichtige medienpädagogische Fähigkeit beschreibt. Ihr „3-Ebenen-x-5-Komponenten-Modell“ bietet eine wertvolle Orientierung für pädagogische Arbeit:
Bewertungskompetenz: Jugendliche sollten in der Lage sein, gesellschaftliche Diskurse über Pornografie zu bewerten und ihre eigenen Positionen kritisch zu reflektieren.
Nutzungskompetenz: Hier geht es um die Fähigkeit, eigene Entscheidungen über den Konsum von Pornografie zu treffen und zu hinterfragen, wie und warum sie diese Inhalte nutzen.
Gestaltungskompetenz: Diese Ebene lädt dazu ein, über die aktive Rolle nachzudenken, die Jugendliche in der Produktion oder Mitgestaltung von Medieninhalten spielen könnten (Döring 2011: 236f).
Diese drei Ebenen werden durch fünf wichtige Komponenten ergänzt:
Medienkunde: Wissen über Genres, Fiktion und Realität in der Pornografie.
Kritikfähigkeit: Reflexion über Risiken, Produktionsbedingungen und die Darstellung von Geschlechterrollen.
Genussfähigkeit: Anerkennung, dass der Konsum von Pornografie auch positive Aspekte wie Fantasien und sexuelle Neugierde befriedigen kann.
Metakommunikation: Die Fähigkeit, über Pornografie mit Freunden, Partner*innen oder Vertrauenspersonen offen zu sprechen.
Selbstreflexion: Die Fähigkeit, den eigenen Konsum und die eigenen sexuellen Vorlieben zu reflektieren und sich weiterzuentwickeln (ebd.).
Fachkräfte können diese Kompetenzen fördern, indem sie Räume für offene Gespräche schaffen und Jugendliche dazu ermutigen, ihre eigenen Erfahrungen zu hinterfragen. Eine gute Begleitung durch Lehrkräfte oder Sozialarbeiter*innen kann Jugendlichen helfen, Pornografie als Teil ihrer sexuellen Entwicklung zu verstehen, ohne dabei in problematische Verhaltensweisen abzugleiten.
Fazit
In einer digitalen Welt, in der der Zugang zu Pornografie unvermeidlich ist, wäre es naiv, auf Verbote zu setzen. Stattdessen brauchen Jugendliche die Fähigkeit, sich selbst im Spannungsfeld von Sexualität und Medien zu verorten und eine reflektierte Haltung zu entwickeln. Fachkräfte in der sozialen Arbeit und in der Schule spielen eine entscheidende Rolle dabei, diese Reflexionsprozesse zu begleiten und zu fördern. Mutig hinzuschauen, anstatt das Thema zu tabuisieren, ist ein wichtiger Schritt, um Jugendlichen dabei zu helfen, eine selbstbestimmte Sexualität zu entwickeln.
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