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Sexualpädagogik in der Kita

Interview mit der Erziehung&Wissenschaft Sachsen (2024)


Sexuelle Bildung bei Kindern unterstützt sie dabei, ihren Körper und ihre Gefühle altersgerecht zu verstehen. Sie vermittelt wichtige Grundlagen zu Themen wie Freundschaft, Grenzen und Entwicklung des Körpers. Ziel ist es, Kinder zu stärken, damit sie sich sicher und selbstbestimmt entwickeln und ihre eigenen Grenzen erkennen können.


e&w: Herr Ziemen, als Sexualpädagoge haben Sie einen umfassenden Einblick in die psychosexuelle Entwicklung von Kindern. Können Sie uns erklären, was kindliche Sexualität genau bedeutet?


Interviewpartner: Sehr gerne. Kindliche Sexualität ist ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Entwicklung. Bereits von Geburt an sind Kinder sexuelle Wesen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihre Sexualität mit der von Erwachsenen vergleichbar ist. Kinder erkunden ihren Körper auf spielerische und neugierige Weise. Sie sind nicht auf sexuelle Befriedigung im erwachsenen Sinne aus, sondern erleben angenehme Sinneswahrnehmungen, die mit der Erkundung des eigenen Körpers zusammenhängen. Das fängt schon im ersten Lebensjahr an, wenn Babys durch den Mund und die Haut die Welt wahrnehmen. Diese Entdeckungen sind fundamental für die psychosexuelle Entwicklung.


e&w: Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben, wie diese kindliche Neugier in der Praxis aussieht?


Interviewpartner: Natürlich. Nehmen wir die Situation von Chiara und Tim. Chiara versucht immer wieder, Tim zu küssen, während er den Eindruck macht, das nicht zu wollen. Solche Interaktionen sind Teil der kindlichen Sexualität. Sie zeigen, dass Kinder versuchen, soziale und körperliche Grenzen zu erkunden. Dabei geht es jedoch nicht um bewusste Sexualität, sondern um die Entdeckung und das Ausprobieren von Nähe und körperlichen Empfindungen. Wichtig ist dabei, dass wir mit den Kindern dann eingebettet in den Alltag liebevoll und klar Regeln besprechen. Das machen wir auch in anderen Fällen und es hilft zur Orientierung.



e&w: Im Sinne der Prävention vor sexueller Gewalt wird empfohlen, auch die Genitalien eindeutig zu benennen. Welche praktischen Tipps haben Sie für Fachkräfte?


Interviewpartner: In meinen Fortbildungen üben wir die Anwendung einer angemessenen Sprache. Wenn ich Kindern keine Wörter für Ihre Genitalien zur Verfügung stelle oder Phantasiebegriffe verwende, wie sollen sie dann einen möglichen Übergriff benennen? Die Empfehlung von verschiedenen Fachstellen ist, die Begriffe Penis und Vulva zu verwenden. Dies sind Begriffe, die auch im medizinischen Bereich verwendet werden. Ich höre oft das Argument, dass diese Sprache Kinder verunsichere. Kinder haben noch keine Skripte von Sexualität im Kopf wie wir Erwachsenen. Sie lernen, dass die Genitalien nicht „untenrum“ sind, sondern es Wörter dafür gibt, so wie es auch Wörter für die einzelnen Finger gibt.


e&w: Wie unterscheiden sich denn kindliche Sexualität und erwachsene Sexualität in ihren grundlegenden Zügen?


Interviewpartner: Kindliche Sexualität ist unbefangen, spontan und egozentrisch. Das bedeutet, Kinder handeln, weil es sich gut anfühlt, und nicht, um jemand anderem ein Vergnügen zu bereiten. Sie denken nicht darüber nach, ob ihr Gegenüber sich auch wohlfühlt, weil sie schlichtweg noch kein Bewusstsein für die Sexualität anderer Menschen haben. Für sie steht die eigene Lust und Neugier im Vordergrund. Ein Beispiel dafür ist die kindliche Selbststimulation: Kinder entdecken früh, dass das Berühren der eigenen Genitalien angenehme Gefühle hervorruft. Das ist völlig normal und sollte auch so gesehen werden. Wichtig ist, dass die Erwachsenenwelt solche Handlungen nicht sexualisiert oder tabuisierend behandelt.


e&w: Wie können wir als Erzieher*innen mit solchen Situationen umgehen, ohne die Kinder zu verunsichern?


Interviewpartner: Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir unsere eigenen Vorstellungen von Sexualität reflektieren. Oft projizieren Erwachsene ihre eigenen Scham- oder Moralvorstellungen auf das Verhalten von Kindern. Dabei sind Kinder selbst unbefangen und benötigen Unterstützung, um ein gutes Verhältnis zu ihrem Körper zu entwickeln. In einer Situation, in der sich ein Kind zum Beispiel in der Kita selbst stimuliert, kann man erklären, wo solche Handlungen okay sind und wo nicht. Es geht nicht darum, das Kind zu beschämen, sondern ihm klare, wertfreie Informationen zu geben.


e&w: Was ist mit Grenzüberschreitungen zwischen Kindern? Wann sollte man eingreifen?


Interviewpartner: Grenzüberschreitungen sind ein sensibles Thema. Kinder erkennen oft nicht von alleine, wann sie die Grenze eines anderen Kindes überschreiten. Wenn ein Kind z. B. nicht geküsst werden möchte, wie in dem Beispiel von Tim, muss das respektiert werden. Hier sollten Erzieher*innen einschreiten und klar vermitteln, dass der Körper eines jeden Menschen respektiert werden muss. Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir nicht jede Berührung oder jedes Spiel sofort als problematisch betrachten. Ein bewusster Umgang mit diesen Situationen und ein offener Dialog sind hier entscheidend.


e&w: Was können Erzieher*innen tun, um sich selbst und die Kinder in diesen Themen zu unterstützen?


Interviewpartner: Es hilft, sich fortlaufend mit dem Thema auseinanderzusetzen und Fachliteratur zu lesen oder Fortbildungen zu besuchen. Die kindliche Sexualität ist in der Ausbildung von Erzieher*innen oft nicht ausreichend thematisiert. Ein sexualpädagogisches Konzept in der Kita kann helfen, Unsicherheiten abzubauen. Dieses Konzept sollte im Team entwickelt werden und klare Richtlinien enthalten, wie in der Kita mit der Sexualität von Kindern umgegangen wird. Es kann auch hilfreich sein, externe Fachleute zu Rate zu ziehen, wenn schwierige Situationen auftreten. Wenn wir uns immer mal wieder fragen, welche Brille wir aufhaben, nämlich die eines Erwachsenen oder z.B. eines Kindes, dann können wir gewisse Situationen auch aus der Perspektive eines Kindes betrachten und uns fragen, was für das Kind und seine Entwicklung förderlich ist. Mit einer angemessenen Beschäftigung der psychosexuellen Entwicklung kann der berufliche Alltag leichter werden.

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