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Grenzverletzung? Grenzüberschreitung?

Manche Begriffe verwenden wir selbstverständlich im Alltag, ohne ihre Bedeutung bewusst zu hinterfragen. Für den beruflichen Kontext, insbesondere bei der Reflexion von Beziehungsdynamiken, kann es jedoch hilfreich sein, Begriffe genauer zu betrachten. Dies gilt besonders für die Wörter Grenzüberschreitung und Grenzverletzung, die in der gesprochenen und schriftlichen Sprache häufig synonym verwendet werden. Doch lohnt es sich, diese Begriffe differenziert zu betrachten.


Jan Volmer schlägt in seinem lesenswerten Buch Taktvolle Nähe eine Unterscheidung vor: Eine Grenzüberschreitung bezeichnet ein Zu-Nahe-Kommen, während eine Grenzverletzung die Folge einer nicht respektierten Grenzüberschreitung sein kann (Vollmer 2019: 160).

Was bedeutet das konkret? Zwei Menschen begegnen sich, und während des Gesprächs legt die eine Person die Hand auf die Schulter der anderen. Wenn die Person merkt, dass ihr Gegenüber sich unwohl fühlt, nimmt sie die Hand weg und entschuldigt sich. In diesem Fall liegt eine Grenzüberschreitung vor, aber keine Grenzverletzung, da der persönliche Raum respektiert und wiederhergestellt wird. Die Integrität der anderen Person bleibt gewahrt.



Eine Grenzverletzung würde hingegen vorliegen, wenn gesagt wird: „Nun hab dich nicht so!“ und die Hand auf der Schulter bleibt. Hier wird der Raum der anderen Person nicht respektiert. Einer Grenzverletzung geht also immer eine Grenzüberschreitung voraus, aber nicht jede Grenzüberschreitung führt zwangsläufig zu einer Grenzverletzung (ebd.). Für Beziehungsdynamiken bedeutet das, dass wir es in der Hand haben, den Raum der Würde (Stephan Marks) zu wahren oder wiederherzustellen.


Grenzüberschreitungen lassen sich im Alltag nicht immer vermeiden. Entscheidend ist jedoch, wie wir damit umgehen. Es ist wichtig, „hinsichtlich ihrer Intention und ihrer Intensität [zu unterscheiden]“ (ebd.: 163). Eine unbeabsichtigte Grenzüberschreitung kann durch Klärung zu einem Vertrauensgewinn führen. Absichtliche Grenzüberschreitungen hingegen sind schwerer zu klären und führen häufiger zu einer Grenzverletzung.


Um angemessen auf Grenzüberschreitungen reagieren zu können, spielen Faktoren wie Alter, Entwicklungsstand, Geschlecht, Herkunft, körperliche Voraussetzungen usw. und der jeweilige Kontext eine zentrale Rolle. Es ist herausfordernd, in Beziehungsdynamiken ein klares Nein oder Ja zu äußern, da sich diese Aussagen auch in Abhängigkeitsverhältnisse einfügen können. Doch gerade diese Reflexion ist entscheidend, um persönliche Grenzen zu lernen und zu wahren und respektvoll miteinander umzugehen.


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